„Jetzt könnte der Abgasskandal Daimler endgültig um die Ohren fliegen“, sagt Rechtsanwalt Andreas Schwering. Grund für diese Einschätzung ist ein zu erwartendes Urteil des Bundesgerichtshofs. Der BGH hatte in der Verhandlung vom 29. Juni 2021 zu erkennen gegeben, dass es die Ausführungen des Klägers zu unzulässigen Abschalteinrichtungen in seinem Mercedes für überzeugend hält und den Fall voraussichtlich zur Entscheidung an das OLG Koblenz zurückverweisen wird (Az.: VI ZR 128/20).
Das OLG Koblenz hatte die Klage noch abgewiesen und die Ausführungen des Klägers zu den unzulässigen Abschalteinrichtungen als „Vortrag ins Blaue“ hinein abgetan. „Damit hat es sich das OLG Koblenz zu leicht gemacht. Es hätte in die Beweisaufnahme einsteigen müssen, weil der Kläger greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unzulässigen Abschaltlieferung geliefert hat“, so Rechtsanwalt Schwering. Das hat auch der BGH so gesehen und wird das Urteil des OLG Koblenz voraussichtlich kassieren.
In dem Verfahren geht es um einen Mercedes C 220 CDI mit dem Dieselmotor OM 651 und der Abgasnorm Euro 5. Der Kläger machte Schadenersatzansprüche geltend, weil in dem Fahrzeug mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen zum Einsatz kämen. Neben einem Thermofenster bei der Abgasreinigung werde u.a. die sog. Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung verwendet. Im Ergebnis würden dadurch die Stickoxid-Emissionen zwar auf dem Prüfstand reduziert, im realen Straßenverkehr sei die Funktion hingegen nicht aktiviert und die Stickoxid-Emissionen würden gesetzlichen Grenzwerte deutlich übersteigen.
Wegen der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung hatte das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) bereits im Herbst 2018 ein Anhörungsverfahren gegen Daimler wegen des Verdachts einer Abschalteinrichtung eingeleitet. Der Verdacht bestätigte sich und im Juni 2019 ordnete das KBA deshalb einen verpflichtenden Rückruf an. Betroffen waren zunächst nur Modelle des Mercedes GLK 220 mit dem Motor OM 651 und der Abgasnorm Euro 5.
Dieser Motor steckt jedoch in einer ganzen Reihe anderer Mercedes-Modelle unter der Haube und so weitete sich der verpflichtende Rückruf auf Modelle der A-, B-, C-, E- und S-Klasse mit diesem Aggregat aus.
Da in seinem Mercedes 220 CDI, Baujahr 2012, der gleiche Dieselmotor des Typs OM 651 mit der Abgasnorm Euro 5 verbaut ist, wie in dem beanstandeten Mercedes GLK 220 geht der Kläger davon aus, dass auch in seinem Pkw eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung steckt.
Damit habe der Kläger sehr dezidierte Hinweise zum Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung geliefert, so der BGH. Der Bundesgerichtshof hatte schon früher ausgeführt, dass ein Kläger im Abgasskandal keinen Einblick in die internen Abläufe bei einem Autohersteller haben könne. Daher reiche es aus, wenn er auf ihn verfügbare Quellen zurückgreife und schlüssige Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer unzulässigen Abschaltlieferung vortrage.
Das sieht der BGH im vorliegenden Fall offenbar als erfüllt an. Damit trifft die Daimler AG die sekundäre Darlegungslast- „Daimler kann sich dann nicht mehr hinter vermeintlichen Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen verstecken und nur größtenteils geschwärzte Unterlagen vorlegen. Daimler muss die Arbeitsweise der bemängelten Funktionen erklären und darlegen, welche Angaben gegenüber dem KBA gemacht wurden. Ansonsten kann der Vorwurf einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht widerlegt werden“, so Rechtsanwalt Schwering.
Damit wird auch deutlich, dass es für das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht darauf ankommt, ob das KBA einen Rückruf angeordnet hat. „Das KBA ist im Endeffekt auf die Angaben des Autoherstellers angewiesen und kann nicht jeden Motor bis auf die kleinste Schraube auseinandernehmen. Daher ist ein ausgebliebener Rückruf der Behörde auch kein Beweis dafür, dass keine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt“, so Rechtsanwalt Schwering. „Auf einen Rückruf durch das KBA kommt es im Abgasskandal letztlich nicht an.“
Der BGH wird den Fall voraussichtlich an das OLG Koblenz zurückverweisen, das dann in die Beweisaufnahme einsteigen muss. „Dann ist Daimler gefordert und muss darlegen, dass die Abgaswerte nicht manipuliert wurden. Unwahrscheinlich, dass das gelingt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass OLG Koblenz Daimler wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu Schadenersatz verurteilen wird“, sagt Rechtsanwalt Schwering.